Kapitel 1

Wir hatten es nicht kommen sehen. Niemand. Als es dann über uns hereinbrach war das Erschrecken groß.

Heute glauben viele zu wissen, wir hätten es sich nähern sehen müssen. Haben wir aber nicht. Viel zu gut ging es uns in unseren Leben, als dass wir wahrnehmen wollten, was aus der einen oder anderen Ecke versucht wurde uns unterzujubeln. Damals glaubten wir nicht, dass so etwas je würde kommen. Heute, das es je hätte kommen dürfen. Arglos hatten wir in den Schatten unserer Bäume gesessen, selbstgebackenenen Kuchen gegessen oder mit hochgelegten Füßen Bier getrunken. Satt waren wir nicht, wir waren voll. Und um wenigstens einen Hauch unserer Ehr- und Gerechtigkeitsgefühle zu streicheln empörten wir uns über die Ungerechtigkeiten im Rest der Welt, auf denen unser Wohlstand ruht.

Wenn ich heute im Bett sitze und im Spiegel mir gegenüber mein halbes, von einer Leselampe beleuchtetes Gesicht erblicke, versinnbildlicht es mir die Art, wie wir bisher lebten. In den schönen Seiten des Lichts.

Wir feierten, konsumierten auf Deibel komm raus, ließen die stetig lauter werdenenden Trommeln der Wissenschaft, obwohl mitlerweile hin und wieder unüberhörbar, als störend empfunden übertönen, machten uns lustig über die Jugend von heute, die sich erdreistete Freitags nicht mehr zur Schule zu gehen und uns belehren wollte. Schließlich seien wir alt genug und wüßten selbst, was für uns das Beste sei. Nein, das wußten wir nicht. Wir wußten, was wir wollten, aber nicht, was das Beste für uns ist. Für uns alle.

Angeblich soll es noch nicht zu spät sein, das Ruder herumzureißen. Bereit dazu ist aber niemand, man könnte ja doch sich irren und dann wäre man der Verlierer. Die Zauderer aber hielten sich zurück, aus Rücksicht, man könne jetzt nicht einfach so die Zukunft aufs Spiel setzen. Das dieses Spiel aber schon eine längere Zeit läuft und die Zukunft nicht nur der Einsatz, sondern der Jackpot überhaupt ist, wissen viele, auszusprechen aber getrauen es sich nur wenige, öffentlichen Mahnern gegenüber winkt man ab, von oben herab. Wer die Wahrheit ausspricht ist ein Verräter, einer der Bösen, das es mehrere sind, mehr werden, zögernd zwar, muß man nicht erwähnen, ganz langsam dringt es durch. Es ist wie das brennende Rom, als Nero entsetzt von seinem Balkon rief, wer hat meine Stadt angezündet, ach, das war ja ich. Und nur, weil er eine Ode zur Lyra dichten wollte. Wir satten, zufriedenen, abgestumpften sind Nero und Rom ist die Welt. Laßt uns die Erde in Brand setzen, es flackert so schön am Horizont.

Mich wiederholend: Wir wussten von den Hinweisen, wir hörten davon, wir sahen sie in der Ferne. Und doch saßen wir weiter friedlich an unseren Feuern, bewunderten den Sternenhimmel und tranken ein Bier zu viel. Auf dem Grill kohlte das billige Fleisch aus Übersee. Noch ahnten wir nicht, wie schnell die ewig haltenden Freundschaften sich auflösen können, Freunde sich entzweien, Familien von einander Abstand nehmen. Und als die Ahnung Gestalt annahm, war es schon Gewissheit und zu spät.

Die Erwachsenen, stete bewahrer der reinen Wahrheit, beginnen zögerlich sich Argumente anzueignen, warum sie dereinst etwas taten oder unterließen. Und alle berufen sich auf ihre Quellen im Internet, dem Ort, wo man alles finden kann, nur nicht die Wahrheit. Denn die Wahrheit steht über allem. Sie wird es noch geben, wenn es das Internet nicht mehr gibt. Wäre dem nicht so, würde es bedeuten, stirbt das Internet, stirbt die Wahrheit.

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